Kommentar von FJ Klausdeinken
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Gemeinwohl vs. Eigennutz
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Das Gemeinwohl ist ein zentrales Konzept in der christlichen Sozialethik und bildet die Grundlage für ein harmonisches und gerechtes Zusammenleben in der Gesellschaft. Aus christlicher Perspektive bedeutet Gemeinwohl nicht nur das Wohl des Einzelnen, sondern das Wohl aller Mitglieder einer Gemeinschaft. Es fordert dazu auf, individuelle Interessen zugunsten des kollektiven Nutzens abzuwägen und zu fördern.
Das Gemeinwohl in der christlichen Lehre
In der christlichen Tradition wird das Gemeinwohl als Ausdruck der Nächstenliebe und der Solidarität verstanden. Es basiert auf der Überzeugung, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes eine unveräußerliche Würde besitzt und daher Anspruch auf Bedingungen hat, die ein erfülltes Leben ermöglichen. Dies umfasst materielle Grundlagen wie Nahrung und Unterkunft, aber auch immaterielle Werte wie Bildung, Frieden und Freiheit.
Papst Franziskus betont in seiner Enzyklika „Laudato si'“ (url-Link), dass das Gemeinwohl eine universelle Dimension hat und daher auch den Schutz der Umwelt einschließt, da die Schöpfung das gemeinsame Haus aller Menschen ist. Er ruft dazu auf, ökologische und soziale Fragen gemeinsam anzugehen, um das globale Gemeinwohl zu fördern.
Die Rolle der Kirchen für das Gemeinwohl
Die christlichen Kirchen sehen es als ihre Aufgabe, aktiv zum Gemeinwohl beizutragen. Dies geschieht durch vielfältige soziale Engagements, Bildungsangebote und die Förderung des Dialogs in der Gesellschaft. In einem gemeinsamen Aufruf zur Bundestagswahl 2025 (url-Link) betonen die Vorsitzenden der christlichen Kirchen in Deutschland die Bedeutung der Teilnahme am demokratischen Prozess und rufen die Gläubigen dazu auf, ihr Wahlrecht wahrzunehmen, um die Gesellschaft im Sinne des Gemeinwohls mitzugestalten.
Darüber hinaus unterstreicht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Notwendigkeit, gesellschaftliche Verantwortung gemeinsam zu tragen (url-Link). In ihrer Denkschrift „Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen“ wird darauf hingewiesen, dass das Engagement für das Gemeinwohl eine gemeinsame Aufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte ist und nicht allein dem Staat überlassen werden kann.
Ehrenamtliches Engagement als Ausdruck des Gemeinwohls
Ein wesentlicher Aspekt des Gemeinwohls ist das ehrenamtliche Engagement. Durch freiwillige Tätigkeiten tragen Bürgerinnen und Bürger aktiv zur Stärkung des sozialen Gefüges bei und fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die EKD hebt hervor, dass Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement unverzichtbar für das Gemeinwohl und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Sie fordert daher eine stärkere Unterstützung und Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeiten.
Gemeinwohl, Teilhabe und Demokratie
Eine starke Gesellschaft, die das Gemeinwohl fördert, bildet die Grundlage für demokratische Teilhabe. Demokratie lebt von der aktiven Mitwirkung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Indem Menschen sich für das Gemeinwohl einsetzen, stärken sie die demokratischen Strukturen und tragen dazu bei, dass politische Entscheidungen im Interesse aller getroffen werden. Die Förderung von Teilhabe und Engagement ist daher essenziell für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft.
Kirchen leisten bedeutenden Beitrag zur Stärkung des Gemeinwohls und der Demokratie
Zusammenfassend zeigt sich, dass das Gemeinwohl aus christlicher Perspektive ein fundamentales Prinzip für das Zusammenleben darstellt. Es fordert dazu auf, individuelle und kollektive Interessen in Einklang zu bringen, Verantwortung zu übernehmen und aktiv an der Gestaltung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft mitzuwirken. Durch die Förderung von Ehrenamt, Bildung und sozialem Engagement leisten die Kirchen einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des Gemeinwohls und der Demokratie.
FJ Klausdeinken
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IV. Das Prinzip des Gemeinwohls
156. Die ganzheitliche Ökologie ist nicht von dem Begriff des Gemeinwohls zu trennen, einem Prinzip, das eine zentrale und Einheit schaffende Rolle in der Sozialethik spielt. Es ist „die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“.
157. Das Gemeinwohl geht vom Respekt der menschlichen Person als solcher aus mit grundlegenden und unveräußerlichen Rechten im Hinblick auf ihre ganzheitliche Entwicklung. Es verlangt auch das soziale Wohl und die Entfaltung der verschiedenen intermediären Gruppen, indem es das Prinzip der Subsidiarität anwendet. Unter diesen ragt besonders die Familie als Grundzelle der Gesellschaft heraus. Schließlich erfordert das Gemeinwohl den sozialen Frieden, das heißt die Stabilität und die Sicherheit einer bestimmten Ordnung, die ohne eine spezielle Aufmerksamkeit gegenüber der distributiven Gerechtigkeit nicht zu verwirklichen ist, denn die Verletzung dieser Gerechtigkeit erzeugt immer Gewalt. Die gesamte Gesellschaft – und in ihr in besonderer Weise der Staat – hat die Pflicht, das Gemeinwohl zu verteidigen und zu fördern.
158. In der gegenwärtigen Situation der globalen Gesellschaft, in der es so viel soziale Ungerechtigkeit gibt und immer mehr Menschen ausgeschlossen und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt werden, verwandelt sich das Prinzip des Gemeinwohls als logische und unvermeidliche Konsequenz unmittelbar in einen Appell zur Solidarität und in eine vorrangige Option für die Ärmsten. Diese Option bedeutet, die Konsequenzen aus der gemeinsamen Bestimmung der Güter der Erde zu ziehen, doch – wie ich im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium1 auszuführen versuchte – verlangt sie vor allem, sich die unermessliche Würde des Armen im Licht der tiefsten Glaubensüberzeugungen vor Augen zu führen. Es genügt, die Wirklichkeit anzuschauen, um zu verstehen, dass diese Option heute ein grundlegender ethischer Anspruch für eine effektive Verwirklichung des Gemeinwohls ist.
weitere Textstellen in der Enzyklika Laudato SI: Abschnitt 18, 54, 129, 135, 159, 169, 174, 177, 178, 184, 188, 189, 196, 198, 201, 204, 225, 131, 132,
Enzyklika Fratelli tutti Abschnitt 12, 15, 22, 63, 66, 108, 153,
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5. Die beste Politik
154. Um die Entwicklung einer weltweiten Gemeinschaft zu ermöglichen, in der eine Geschwisterlichkeit unter den die soziale Freundschaft lebenden Völkern und Nationen herrscht, braucht es die beste Politik im Dienst am wahren Gemeinwohl. Leider nimmt jedoch heute die Politik oftmals Formen an, die den Weg zu einer andersgearteten Welt behindern.
282. Ebenso „brauchen wir Gläubigen Möglichkeiten zum Gespräch und zum gemeinsamen Einsatz für das Gemeinwohl und die Förderung der Ärmsten. Wir brauchen nicht irgendwelche Abstriche zu machen oder mit unseren eigenen Überzeugungen, die uns viel bedeuten, hinter dem Berg zu halten, um anders denkenden Menschen begegnen zu können. […] Denn je tiefer, solider und reicher eine Identität ist, desto mehr wird sie andere mit ihrem spezifischen Beitrag bereichern“.
weitere Textstellen in der Enzyklika Fratelli tutti: Abschnitt 12, 15, 22, 63, 66, 108, 159, 174, 175, 177, 179, 180, 182, 190, 202, 205, 221, 228, 232, 252, 257, 260, 262, 276,
Enzyklika Fratelli tutti von Papst Franziskus über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft (url-Link)
Gemeinwohl
Der Begriff Gemeinwohl zielt auf den Ausgleich divergierender Interessen zwischen Einzelnen und Gruppen. Ursprünglich in staatsrechtlichen und staatsethischenKontexten zu $nden, wird er heute mehr und mehr in politischen sowie in sozial-, wirtschafts- und bioethischen Zusammenhängen verwendet.
Lindner, Heike, Art. Gemeinwohl, in: Wissenschaftlich
Religionspädagogisches Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2016 (pdf, url-Link)
Soziale Verantwortung
Die Katholische Soziallehre und die christlich-soziale Bewegung haben in Deutschland eine lange Tradition. Ihnen geht es um eine gerechte und menschenwürdige Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens www.dbk.de
In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Postwachstum, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl. Mit diesen Themen beschäftigt sich die Freiburger Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer in einem neuen Forschungsprojekt an der Uni Erfurt. Und womit kann die Kirche noch punkten?
zum Interview auf www.domradio.de (url-Link)
Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen
Arbeit und unternehmerisches Handeln im gemeinsamen Fokus von Kirchen und Handwerk, Arbeit in theologischer Perspektive www.ekd.de
Kirchen unverzichtbar für Gemeinwohl und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Ökumenische Stellungnahme zu einer Bundes-Engagementstrategie www.ekd.de
GEMEINWOHL in der Christlichen Soziallehre
Gemeinwohl: Das persönliche Wohl von Einzelnen in einer Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft
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Erklärvideo der Ordensgemeinschaften Österreich
YouTube-Video (url-Link)