von J. Manemann (FIP Hannover) gehalten am 21.09.23 in Unna
Im Rahmen der Karikaturenausstellung „Mit Volldampf in die Klimakatastrophe“ in Unna referierte Prof. J. Manemann über Revolutionäres Christentum – ein kritischer Appell im Horizont der ökologischen und klimatischen Krise.
Es ging um Wut, Angst, Verzweiflung, Trauer und Schmerz in Angesicht der zunehmenden Erderhitzung und zunehmenden Klimakatastrophen. Und zu Recht stellt er die Frage:
Warum ist meine Kirche so mitleidslos gegenüber zukünftigen Generationen? Und warum sehe ich meiner Kirche die Leidensgeschichte der nicht menschlichen Lebewesen überhaupt nicht an?
Wo sind die Christ:innen? Wo ist die Kirche?
Es braucht die volle Diesseitigkeit des Lebens (Bonhoeffer) und eine Revolution für das Leben (E. von Redecker). Es wird Zeit, dass wir Teil dieser Revolution werden, davon ist Manemann überzeugt.
Alte Strukturen, die Apokalypseblindheit aufbrechen und durch die entstandenen Risse göttliches Licht ins Inne, in den Kern lassen, so ein Bild, das er den Zuhörern vermittelt.
Christ:innen müssten sich eigentlich „in der Mitten der Revolution wie zu Haus fühlen“ und als erste Aufstehen für eine neue Welt. Es braucht eine neue Schöpfungscompassion, einem engagierten Mitfühlen, was um uns herum in der Mitwelt geschieht. Auferstehen heißt aber auch, das Leben feiern.
Sein Appell:
Jetzt ist die Stunde der Erde gekommen das Menschenmöglich zu tun. Jede Tat ist Saat auf Hoffnung (J. Moltmann).
Weitere Ausführungen im Mitschnitt aus dem Vortrag zum 3. Diözesaner Nachhaltigkeitstag am 22.06.2021 der Domberg-Akademie (ab min 3:15) https://youtu.be/TPfcImAyRHU
„Lasst uns Stöcken zum Ausgangspunkt einer konkreten Utopie machen!“
Rede von Prof. Dr. Jürgen Manemann auf der Kundgebung von hannover erneuerbar am 24.04.2021
Es nimmt kein Ende – im Gegenteil! Immer wieder hören wir neue Klimaberichte, neue Schadensberichte über die Weltmeere, die Gletscher, den Regenwald, die grassierende Armut. Wir alle wissen, was gerade passiert – und gleichzeitig wissen wir es nicht! Wir können uns das, was wir herstellen, nicht vorstellen. Es überfordert unsere Einbildungskraft: Jeden Tag sterben etwa 150 Arten aus, für immer. Wer von uns vermag das Unfassbare zu erfassen? Dennoch müssen wir versuchen, uns dieses Leid immer wieder neu vorzustellen, wir müssen versuchen, zu begreifen, was um uns herum vor sich geht – das verlangt viel von uns, vielleicht zu viel.
Angesichts des Unfassbaren schwindet die Hoffnung. Wie sollen wir damit umgehen? Einige werden apathisch. Und das ist nur allzu gut nachvollziehbar. Andere trauern über das, was vor sich geht. Und diese Trauer wiegt schwer. Sie kann in Verzweiflung münden. Aber wir sollten die Apathie, die Gleichgültigkeit, mehr fürchten als die Verzweiflung, denn, so hat es der Friedensnobelpreisträger und Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel gesagt: »Wenn Sie die Wahl haben, zwischen Verzweiflung und Gleichgültigkeit zu wählen, wählen Sie die Verzweiflung, nicht die Gleichgültigkeit! Denn aus Verzweiflung kann eine Botschaft hervorgehen, aber aus Gleichgültigkeit kann per definitionem nichts hervorgehen.«
Trauer kann in Verzweiflung münden. Sie kann aber auch Platzhalterin von Hoffnung sein. Wenn wir gemeinsam trauern und diese Trauer uns zum Handeln motiviert, entsteht vielleicht ein Milieu, in dem neue Hoffnung wächst. Wenn wir nämlich die Erfahrung machen, dass sich im gemeinsamen Handeln etwas verändert, kann Möglichkeitssinn aufscheinen. Der Philosoph Theodor W. Adorno hat das in die Sentenz gepresst: „Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles.“ Jede noch so kleine Veränderung, die wir handelnd ermöglichen, offenbart uns: Es ist mehr möglich! Veränderndes Handeln gebiert Möglichkeitssinn und den benötigen wir dringend. Wir leiden alle an zu viel sogenannten Realitätssinn. Und das erleben wir gerade auch im Konflikt um das Kohlekraftwerk Stöcken.
Die selbsternannten Verwalter:innen der Realität beharren immer darauf, dass sie allein wissen, was möglich ist und was nicht. Aber wer von uns weiß schon, was in der Realität möglich ist und was nicht? Ja, wie können wir überhaupt herausfinden, was unsere Gesellschaft an Möglichkeiten bereitstellt? Wer tatsächlich das Mögliche Wirklichkeit werden lassen möchte, muss immer auch das Unmögliche wünschen. Wer das bloß Mögliche fordert, erreicht nur, dass alles so bleibt, wie es ist. Wer aber will, dass alles so bleibt, wie es ist, verstärkt die Klimakrise.
Wir wollen Hannover CO2-neutral machen, und zwar schnell, innerhalb der kommenden Jahre. Für die Verwalter:innen der Realität ist das ein Unding. Für uns ist es eine konkrete Utopie – kein Luftschloss, kein Nachttraum, kein Tagtraum. Deshalb gilt: Lasst uns Stöcken zum Ausgangspunkt dieser konkreten Utopie machen. Setzen wir alles daran, dass Stöcken 2026 vom Netz geht. Wenn uns das gelingt, wenn Stöcken 2026 vom Netz geht, dann hätten wir alle die Erfahrung gemacht, dass in uns und in der sogenannten Realität mehr Möglichkeiten bereit liegen als wir angenommen haben. Ohne diese Erfahrung werden wir die große Transformation nicht schaffen! Es liegt an uns, an den Einwohner:innen von Hannover, alles daran zu setzen, dass das gelingt. Die große Transformation kann nur von unten gelingen.
Hope dies – Action begins! Nur wenn wir aktiv werden, können wir die traurige Situation aushalten, gemeinsam aushalten. Nur wenn wir aktiv werden, können sich überhaupt Möglichkeiten einstellen! Nur wenn wir aktiv werden, können wir Möglichkeiten erkennen und sie ergreifen. Nur wenn wir aktiv werden, kann sich vielleicht neue Hoffnung in uns einstellen. Nur wenn wir aktiv werden, könnte ins uns vielleicht die Kraft zur Hoffnung aufkeimen. Diese Hoffnung wäre nicht nur eine Hoffnung für uns Menschen. Sie wäre auch eine Hoffnung für die nichtmenschlichen Kreaturen.
Der große Hoffnungsphilosoph Ernst Bloch hat sein monumentales Werk „Prinzip Hoffnung“ in den Jahren 1938 bis 1947 verfasst, im Exil, in der Situation der Hoffnungslosigkeit. Dieses Buch ist eine große Sammlung von Hoffnungsgedanken, die in vergangenen Jahrhunderten von Menschen in Unterdrückung und Not entwickelt wurden. Bloch erinnert uns an die Hoffnungen, auch an die vielen unerfüllten Hoffnungen und Träume. Dieses Buch beginnt mit den Worten: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Aufgabe entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“
Angesichts der Klimakrise haben wir keinen Grund zur Hoffnung. Bloch hatte auch keinen Grund dazu. Aber er wusste: die Hoffnung fällt nicht vom Himmel, der Geist der Utopie, der Geist des Neuen kann sich nur durch Taten entfalten. „Jede Tat ist Saat auf Hoffnung.“ (so J. Moltmann im Anschluss an Bloch) Uns bleibt hier und jetzt angesichts der ökologischen und klimatischen Katstrophe nur die Trauer, aber Trauer als aktive Trauer. Aktive Trauer ist jedoch Hoffnung im Widerstand. In den Aktionen, in unserem Engagement könnten wir vielleicht das Hoffen neu lernen. Deshalb gilt: Stillstillung von Stöcken 2026!
Jürgen Manemann