von Fr.-J. Klausdeinken
Beim Wahlkampf für die Landtagswahl 2022 standen viele Themen zur Diskussion: Arbeit und Soziales, innere und äußere Sicherheit, Verkehr und digitale Infrastruktur, Bildung und Forschung, um nur einige zu nennen. Die besondere Bedeutung des Klimaschutzes betonte fast jede gewählte Partei.
Doch die Ausgangslage ist ernüchternd: alle Parteien verfehlen das Ziel der Weltklimakonferenz von Paris (2015), die Erderwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Wir leben in Deutschland weit über unsere Verhältnisse, denn mit unserem Lebensstil benötigen wir DREI !!! Erden. Der Klimawandel hält sich nicht an Staatsgrenzen und unsere Handeln beeinflusst das Klima in weit entfernten Regionen, tötet Pflanzen, Tiere und Menschen und zwingt diese zur Flucht.
Die Schäden auch in unserer „Heimat“ sind unübersehbar. Sinnflutartige Regen setzten Teile der Innenstadt von Soest (2018) oder wie jüngst Ortsteile unter Wasser. Das Baumsterben im Stadtgebiet und das Bienen- und Insektensterben verursachen bereits heute sichtbare Lücken in der Natur. Das Waldsterben im Arnsberger Wald führt auf dem Lörmecke-Turm zu einer erschreckenden Einsicht:
Ein weiter so hat fatale Folgen für uns alle!
Wir leben nicht nur auf Kosten Dritter sondern auch auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder.
In Soest gibt es die Entscheidung, bis 2030 klimaneutral zu werden. Die Strategie ist klar: Reduzierung des Energiebedarfs und Einsatz von klimaneutralen / erneuerbaren Energien, energetische Ertüchtigung der Bestandgebäude und Errichtung von energiearmen Neubauten, Reduzierung des PKW-Verkehrs (mit Verbrenner-Motoren) und Ausbau des ÖPNV und alternativer Verkehrsmittel, um nur einige technische Punkte zu nennen. Die Menschen sind interessiert, wie Soest im bereits sichtbaren Klimawandel durch mehr Grün, durch weniger Autos und mehr Naherholung lebenswert erhalten werden kann. Es geht auch um die Anpassung an die Klimafolgen: die Verringerung der Erhitzung der Siedlungen, die Vermeidung von Überschwemmungen oder die Wasserversorgung bei Dürren.
Aber wir müssen den Blick weiten. Es geht um viel mehr, als nur um eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Es geht um einen tiefgreifenden, sozial-ökologischen Wandel, um unseren Planeten lebenswert zu erhalten. „Wir haben die ‚Wegwerfkultur‘ eingeführt, die sogar gefördert wird.“ „Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg.“ „Diese Wirtschaft tötet“ [EVANGELII GAUDIUM, Papst Franziskus, 2013]3) „Die Ressourcen der Erde werden auch geplündert durch ein Verständnis der Wirtschaft und der kommerziellen und produktiven Tätigkeit, das ausschließlich das unmittelbare Ergebnis im Auge hat.“ „Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.“ [Enzyklika LAUDATO SI’, Papst Franziskus, 2015] 4)
Es geht um eine weltweite Klimagerechtigkeit. Es geht um die Art, wie wir Leben und miteinander umgehen und wie wir die „Mit-Welt“ in unsere Entscheidung einbeziehen. Aus den „Zehn Thesen zum Klimaschutz“ der DBK (2019)2) lassen sich folgende Schwerpunkte für die Arbeit vor Ort ableiten:
- Glaubhaft, zielorientiert und konsequent die Klimaziele umsetzen, den richtigen Rahmen schaffen, die Vorbildfunktion der Kirche ernst nehmen und eine Vorreiterrolle einnehmen.
- Dem gefährlichen Klimawandel entgegenwirken und aus den fossilen Energieträgern aussteigen
- Verbraucher und Erzeuger einbinden und nachhaltige Lebensstile praktizieren und fördern
1000 Teilnehmer aller Altersklassen am „Globalen Klimastreik“, weit über 30 sozial-ökologische Initiativen und viele „grüne Herzen“ sind sichtbare Zeichen für den fruchtbaren Boden hier in der Soester Börde.
Es ist unser aller Verantwortung, mit den weltweiten Ressourcen nachhaltig umzugehen. Bürger*innen, Kirchen, Organisationen, Wirtschaft und Politik sind aufgerufen, in Gedanken, Worten und Werken eine klimagerechte Gesellschaft zu schaffen. Es geht um Frieden Gerechtigkeit und um die Bewahrung der Schöpfung. Das klingt paradiesisch.
Ist uns diese Sehnsucht nach dem Paradies verloren gegangen? Angesichts des fortschreitenden Klimawandels, des massiven Verlusts von Biodiversität und einer fragilen, polarisierten Gesellschaft brauchen wir neue Perspektiven, wie wir leben wollen. Wie können wir uns als Menschen in der Schöpfung bewähren, um die Zukunft offen zu halten? Das Paradies ist, wie bei Adam und Eva, eben nicht als Utopie zu denken, sondern als konkreten Raum zur Bewährung für die Menschheit.
Wir müssen uns unsere Vorstellung vom Paradies zurückerobern!1) Wenn jede*r sich bemüht, einen kleinen Garten Eden zu schaffen, dann werden die vielen kleinen Gärten das Paradiesen auf Erden wieder sichtbar machen. Vieles ist schon da, oftmals verborgen, einiges als „zartes Pflänzchen“ sichtbar, welche gehegt und gepflegt werden müssen. Einiges Zerstörte muss neu erschaffen werden. Für all das braucht es viele Gärtner*innen.
Jede*r von uns hat jeden Tag die Wahl –
– die Wahl für ein klimagerechtes Leben!
Verweise:
1) Paradising – Warum wir eine alte Vorstellung zurückerobern wollen; C. Gröhn, S. Köhler; Werkstatt Ökonomie e.V.; Heidelberg; 2021; zum Download (pdf, 40 Seiten)
2) Zehn Thesen zum Klimaschutz, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen Nr. 48, 2019; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Download (pdf 0,63 MB)
3) Auszug aus dem Apostolisches Schreiben EVANGELII GAUDIUM des Heiligen Vaters Papst Franziskus (2013)
53. Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung53. Ebenso wie das Gebot „du sollst nicht töten“ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die „Wegwerfkultur“ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“.
Download des Apostolisches Schreiben EVANGELII GAUDIUM (pdf, url-Link)
4) Auszug aus der Enzyklika LAUDATO SI’ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus (2015)
III. DER VERLUST DER BIOLOGISCHEN VIELFALT
32. Die Ressourcen der Erde werden auch geplündert durch ein Verständnis der Wirtschaft und der kommerziellen und produktiven Tätigkeit, das ausschließlich das unmittelbare Ergebnis im Auge hat. Der Verlust von Wildnissen und Wäldern bringt zugleich den Verlust von Arten mit sich, die in Zukunft äußerst wichtige Ressourcen darstellen könnten, nicht nur für die Ernährung, sondern auch für die Heilung von Krankheiten und für vielfältige Dienste. Die verschiedenen Arten enthalten Gene, die Ressourcen mit einer Schlüsselfunktion sein können, um in der Zukunft irgendeinem menschlichen Bedürfnis abzuhelfen oder um irgendein Umweltproblem zu lösen.
33. Doch es genügt nicht, an die verschiedenen Arten nur als eventuelle nutzbare „Ressourcen“ zu denken und zu vergessen, dass sie einen Eigenwert besitzen. Jedes Jahr verschwinden Tausende Pflanzen- und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer. Die weitaus größte Mehrheit stirbt aus Gründen aus, die mit irgendeinem menschlichen Tun zusammenhängen. Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.
Download der Enzyklika LAUDATO SI’ von Papst Franziskus (pdf, url-Link)