Gespräch mit Pater Johannes Joachim Gierse OFM
Pater Johannes arbeitet in Bacabal im Nordosten Brasiliens und engagiert sich gesellschaftlich im Bereich „Schöpfungsverantwortung aus der franziskanischen Perspektive“. Er kommt gebürtig aus Meschede-Remblinghausen und war nach neun Jahren wieder auf Heimaturlaub. Zufällig trafen wir ihn im Rahmen des „Forum Weltkirche“ im Bergkloster Bestwig. Im Gespräch wurde klar, wir brauchen mehr Zeit für einen intensiven Austausch. So trafen wir uns Ende Oktober im Dekanatsbüro Hochsauerland-Mitte in Meschede. Die Teilnehmenden beeindruckte die Impulse aus der Befreiungstheologie und der Pastoral der Ökologie in Brasilien.
Befreiungstheologie
Die Befreiungstheologie in Brasilien ist eine theologische Strömung, die in den 1960er Jahren als Umsetzung des II. Vatikanums entstand und eng mit den sozial-politischen Herausforderungen des Landes verknüpft ist. Ihr Ursprung liegt in der katholischen Soziallehre und der nach Befreiung schreienden ungerechten Strukturen in Lateinamerika: „Ich habe den Schrei meines Volkes gehört“, ist ein inspirierender Kernsatz aus dem Exodus.
[Die Bewegung entstand vor dem Hintergrund der sozialen Ungerechtigkeiten und politischen Unterdrückung in Lateinamerika.]
In Brasilien konzentrierte sich die Befreiungstheologie auf die Beseitigung von Armut, Ungleichheit und Ausbeutung. Sie betonte die Option für die Armen und forderte eine aktive Beteiligung der Kirche an sozialen und politischen Veränderungen, um die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern und ihnen ihre Menschenwürde erfahrbar werden zu lassen.
In den 1980er Jahren gewann die Befreiungstheologie und die befreiende Kirche in Brasilien an politischer Bedeutung und trug zur Mobilisierung sozialer Bewegungen bei, die sich für Demokratie und soziale Gerechtigkeit einsetzten. Trotz Rückschlägen und Kontroversen bleibt sie [die Befreiungstheologie in Brasilien] ein wichtiger Einflussfaktor in theologischen Diskursen und sozialen Bewegungen.
Pastoral der Ökologie
Aufgrund der galoppierend zunehmenden Umweltzerstörung, welche Reaktionen und die Forderung auf Veränderungen durch die Movimentos populares (Volksbewegngen, NGOs mit sich zog, kam auch die Relevanz der ökologische Erziehung in den Blick. Die Pastoral der Ökologie in Brasilien ist eine Initiative, die sich dem Umweltschutz und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung [in Brasilien] widmet. Sie ist Teil der katholischen Kirche und arbeitet daran, Umweltfragen in den Kontext sozialer Gerechtigkeit und ethischer Verantwortung einzubetten. Die Menschen sollten über die Schöpfungsökologie und Schöpfungsspiritualität stärker an das nachhaltige Handeln herangeführt werden. Aus dem Grundmuster „Sehen – Urteilen – Handeln“ wurden die „7 Schritte des ökologisch planetaren Bewusstseins“ entwickelt:
- Begeisterung für das Leben: lebensnahe Berührungen des Mikro- und Makrokosmos (u.a. Liebe, Leben, Arbeit, Musik, Farben, …)
- Wut, Schmerz, Zorn: nur Betroffenheit führt zu einer Verhaltensänderung
- Informationen: umfassender Blick auf das große Ganze
- Systematische Sicht: fokussiert den Blick auf Zusammenhänge (z.B. Wasserkreislauf, …)
- Mystik: da ist ein Mehr das sich über Spiritualität erfahren lässt
- Persönliche Verhaltensänderung: als erster Schritt
- Kollektive Verhaltensänderung: als gemeinsame Frucht
Die Pastoral der Ökologie setzt sich [in Brasiliens] für den Schutz der natürlichen Ressourcen ein, insbesondere des Amazonas-Regenwaldes, der als „die Lunge der Erde“ bekannt ist. Die Organisation fördert Umweltbewusstsein, nachhaltige Landwirtschaftspraktiken und den Schutz der heimischen Volksgruppen, als Indigene, Schwarze und Flussbewohner, die oft am stärksten von Umweltzerstörung betroffen sind.
Die „PASTORAL DA ECOLOGIA E DO MEIO AMBIENTE“ (Pastoral für Ökologie und Umwelt) wurde für Pfarreien entwickelt, die sich für die Verteidigung des Lebens und des „Gemeinsamen Hauses“ engagieren. In den letzten 15 Jahren, wurden Schwerpunktthemen in der Fastenzeit besonders in den Blick genommen, z.B.: Wasser und Abwässer, Amazonien, Bewahrung des Gemeinsamen Hauses und der Ökosysteme.
Aus der Bewusstseinsänderung heraus bildeten sich Gruppen, die diese Themen anschließend in der Pastoral vor Ort etablieren. Ziel ist eine konsequente Verortung der Schöpfungsverantwortung im pastoralen Leben, Liturgie und Spiritualität. So wird aus dem persönlichen Handeln ein gemeindliches Handeln, welches wiederum Auswirkungen auf das gesellschaftliche Handeln hat.
Die Ausbildung von Schöpfungsbotschafter:innen war und ist ein weiterer wichtiger Schritt, um die Schöpfungsverantwortung und Schöpfungsspiritualität noch stärker in den Gemeinden zu verankern, um so ein Ziel der Amazonas Synode (2019) umzuseten. Ein weiteres Ziel ist die Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltthemen und der Förderung eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der Natur anhand von Umwelterziehung im schulischen und gesellschaftlichen Bereich. Dabei arbeitet die Pastoral der Ökologie auch daran, Umweltfragen in den Dialog mit Regierungsbehörden und anderen gesellschaftlichen Akteuren einzubringen, um politische Veränderungen und Maßnahmen zur Umweltbewahrung zu fördern.
Ein sofortiger Stopp der Vernichtung von Regenwald und eine drastische Reduzierung des CO2-Ausstoßes der Industrienationen kann Linderung bringen.
Die aktuellen Bilder und Berichte über extrem tiefe Wasserstände im Amazonasgebiet zeigen die Dringlichkeit eines beherzten und umfassenden, weltweiten Handelns auf. Der dramatische Wasserverlust vernichtet nicht nur unersetzliche Natur, sondern bedroht auch das Leben der Menschen. Die Flüsse sind Lebens- und Transportadern eines riesigen Gebiets. Das Sterben der Fischbestände, die vertrockneten Obst- und Gemüseplantagen und die schwierige Trinkwasserversorgung haben katastrophale Auswirkungen.
Lobt Gott durch klimagerechtes Handeln
Anfang Oktober 2023 richtete Papst Franziskus wiederholt einen unüberhörbaren klimapolitischen Weckruf an die ganze Welt. Mit dem Mahnschreiben „LAUDATE DEUM – an alle Menschen guten Willens über die Klimakrise“ verpflichtet er uns erneut zu einem verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung; „dies umso mehr, da die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen und „die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt und vielleicht vor einem tiefen Einschnitt steht“.
In der Enzyklika „LAUDATO SI von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (2016) weist er auf die enge Verbindung von ökologischem und sozialem Handeln hin. Ein Wandel zu einem gutem Leben für alle kann nur gelingen, wenn beides als untrennbare Einheit wahrgenommen wird, denn alles ist miteinander verbunden, oder mit anderen Worten: Wir sitzen alle im selben Boot und nur gemeinsam retten wir „uns“! Der Austausch mit Pater Johannes, der Erfahrungen aus Brasilien mitbrachte, verstehen wir als Ansporn, in unseren christlichen Gemeinden noch mehr die Bewahrung der Schöpfung anzuregen. (fjk)
Bild: v.l.n.r.: Klaus Danne (Pfr), Cornelia Schnitter (kefb), Johannes Giese (OFM), Michael Kloppenburg (Dekanatsref.), Dr. Franz-Josef Klausdeinken (CC4F Soest)