Gesprächskultur statt Angstraum

Leserbrief über Migration von FJ Klausdeinken

Großen Respekt und Anerkennung für Ratsfrau Lavinia Haupt. Sie sucht das Gespräch mit den Flüchtlingen, die sich regelmäßig u.a. am Soester Bahnhof treffen. Sie nimmt die Probleme in der Tiefe wahr, bevor sie voreilig Schlüsse zieht. Populistische Stammtisch-Parolen, Vorverurteilung der Geflüchteten und pauschale Forderung nach einer Rückführung (Remigration) sind hier völlig deplatziert. Es geht um Mitmenschlichkeit! Es geht um Menschenrechte! Diese Errungenschaften in Frage zu stellen bedeutet auch die „abendländische“ Kultur in Frage zu stellen.

Traumatisiert, Massenunterbringung (teilweise in Zelten), Perspektivlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, gähnende Langweile und kaum Verbindung in die Heimat. Wer von uns ‚Sesshaften‘ würde unter diesen Umständen nicht auch einen Lagerkoller bekommen, depressiv oder gar aggressiv werden? Bewundernswert die Menschen, die sich ehrenamtlich für die Geflüchteten einsetzen und so ein wenig Hoffnung säen. An ihrem Handeln sollten wir uns orientieren. Das sind die wahren Helden des Alltags.

Wir sollten dankbar sein, dass wir nicht auch durch Krieg, Ausbeutung und Klimakatastrophen aus unserer Heimat vertrieben werden, so wie 14 Millionen Deutsche zwischen 1944 und 1950. Wir haben uns um Völkerverständigung bemüht, Grenzen überwunden und deshalb seit 78 Jahren Frieden. Das sich Erheben über andere ist ein Grundübel – das Gespräch auf Augenhöhe, das Ringen mit alle Beteiligten um eine gute Lösung ist Kennzeichen einer fortschrittlichen Kultur.

Wenn wir auf die globalen Zusammenhänge schauen, dann müssen wir wahrnehmen, dass wir unsere Hände nicht in Unschuld waschen können. Umweltbischof Lohmann bringt es auf den Punkt: „Unser Verlangen nach Gas, Öl und Kohle treibe die erbarmungslose Ausbeutung von Mensch und Natur voran. Es befeuere Kriege und stürzt künftig noch mehr Menschen in Leid und Verderben.“ Wer diese Zusammenhänge oder den Klimawandel leugnet ist nicht bereit Verantwortung zu übernehmen. Hier weltvergessen wegzuschauen, sich hinter Mauern zu verschanzen und untätig zu bleiben verursacht noch mehr Leid und Tod, noch mehr Vertreibung und noch mehr Migration. Wie wäre es mal mit intelligenter Selbstbeschränkung, mehr Achtsamkeit und soziale Gerechtigkeit.

Spannend bleib die Antwort auf die Frage: „Was hast Du getan, damit die Welt ein bisschen besser wird.“

Soester Anzeiger vom 08.08.23

Abhängen im Angstraum: „Wir sind die Kinder vom Bahnhof Soest“

SPD-Ratsfrau Lavinia Haupt hat mit den Menschen gesprochen, die mit dem Bahnhof Soest einen Ort gefunden haben, an dem sie aus dem tristen Alltag in den Unterkünften fliehen können.

Abhängen wollen sie hier, mit Landsleuten sprechen, ein wenig Spaß und Unterhaltung haben – vor allem aber wollen sie mal rauskommen aus dem tristen Alltag in den Unterkünften, über den sie wenig Gutes berichten – mit einer Mischung aus Müdigkeit und Resignation. Und Wut. Alles Emotionen, die, das versichern sie unisono, auch in ihren ZUE in Soest und Echtrop allgegenwärtig sind.

Und sie nennen Gründe dafür, unter anderem:

  • Völlige Perspektivlosigkeit, gefangen in einem zumindest gefühlt undurchdringlichen Dickicht aus immer neuen Anträgen, die sie ihrem Ziel, als Flüchtlinge anerkannt zu werden und ein neues Leben in Deutschland zu beginnen, kein erkennbares Stück näher bringen.
  • Miserables Essen und eine ähnlich miserable medizinische Versorgung.
  • Viel zu viel Zeit für viel zu wenig sinnvolle Beschäftigung, weil es, wohl auch wegen der großen Zahl der Menschen in den Unterkünften, nicht annähernd genügend Freizeitangebote gibt – und arbeiten dürfen sie nicht.
  • Kein WLAN in den ZUE – die entscheidende Voraussetzung dafür, mit Menschen außerhalb der Unterkünfte kommunizieren zu können. Stattdessen müssen sie den größten Teil ihres überschaubaren Taschengeldes für Datenkontingente und Hygieneartikel ausgeben – Letztere werden ebenso wenig zur Verfügung gestellt wie kostenlose Bustickets.

Alle wünschen sich eine bessere Zukunft als es die Gegenwart ist – und alle wollen endlich ankommen, wirklich ankommen. 

Den vollständigen Beitrag im Soester Anzeiger vom 03.08.23 lesen (url-Link)