Beispiel für transformative religiöse BNE in der Jugendpastoral
Wir machen Frühstück für Benachteiligte am Bahnhof ist mein Projekt!
Die Begleitung von sozialen Projekten während der Vorbereitungszeit auf die Firmung und Konfirmation kommt dem Bedürfnis der Jugend besonders entgegen. Das nachstehende Konzept befindet sich in der Umsetzung.
Rahmenbedingunen
Im Rahmen der Firmvorbereitung haben sich 12 Firmlinge für das Projekt DaSein angemeldet. Im Vorbereitungsteam wurde verabredet, für diese große Gruppe ein eigenes Projekt zu starten. Die Idee des Teams ist, mit einem mobilen Einsatz Menschen im Bereich des Bahnhofs mit einem Frühstücksimbiss (Kaffee + Brötchen) Freude zu bereiten. Dieses Projekt soll durch die Jugendlichen möglichst eigenständig geplant und durchgeführt werden. Mitglieder des Teams und externe Fachkräfte (z.B. Streetworker) begleiten das Projekt.
Projektumfang
Die Größe des Projekts wird durch den zeitlicher Rahmen (ca. 8-10 Std.) und die Motivation begrenzt. Ein möglicher Ablauf könnten sein: 1,5 Std Einführung und Planung; 2×3 Std Einsatz, 1 Std. Feedback und Verortung. Optional akquirieren die Jugendlichen auch Spendengelder (Sammeln im Rahmen von Gottesdiensten) und bewerben ihren Einsatz medial (Blockbeiträge, Video-Clips, Pressegespräch).
Projektpartner
Als externe Unterstützer konnten ein Streetworker, eine Ratsfreu und ein Mitarbeitender der Caritas gewonnen werden. Zum erweiterten Kreis gehören die Tafel und ein Jugendtreff.
Bildungseinheiten
1. Wir nähern uns dem Thema und lernen Engagierte kennen (Testimonials)
Menschen (DaSein, Externe) berichten über ihre Arbeit (Storytelling) und Motivation und beschreiben mögliche Aktionen (u.a. Frühstücksangebot am Bahnhof). Im Gespräch sollen die Firmis auch eigene Erwartungen („ein guter Menschen sein“) und Ziele artikulieren.
Durch die Expert:innen wird der Horizont erweitert und ein kritischer Blick auf das Sozialsystem ermöglicht. Durch die Erzählung von Geschichten von Betroffenen sollen die Jugendlichen auch die machtkritischen (u.a. kapitalismuskritische, wachstumskritische und postkoloniale) Perspektiven hinterfragen. Alle Teilnehmenden werden darin unterstützt grundsätzliche Fragen zu (global-)gesellschaftlichen Machtverhältnissen und systemischen Interessenkonflikten zu diskutieren.
2. Wir planen eine eigene Aktionen (DaSein Mobil)
Sozialraumorientierung und ‚Geh-raus-Kirche‘ bedeuten, ein Angebot für die Zielgruppen zu entwickeln und dieses im Lebensraum der Menschen passgenau anzubieten.
Bei der Planung sind Überschaubarkeit und Machbarkeit zu berücksichtigen (u.a. Motivation, Fähigkeiten, notwendige Unterstützung, gesellschaftliche und finanzielle Grenzen). Über den Grundsatz ‚keep it simple & smart‘ soll eine Zielerreichung sichergestellt werden.
Durch die Gruppenstärke (12) können Teilprojekte definiert werden: z.B. Team Finanzen, Team Social Media, Team Orga.
Vorbereitung wurden Rollenkarten erstellt (Aufgabenmanager:in, Bot:in, Moderatior:in, Zeitwächter:in, Protokollant:in, Prozessbeobachter:in, Präsentator:in). Den Jugendlichen wurden ermutigt, sich Rollen zuzuordnen. Ein Mitglied der Erwachsenen erhält die Rolle „Berater:in.
Um die Eigeninitiative zu stärken, könnte es sinnvoll sein, dass die Erwachsenen die Gruppe zu einem frühen Zeitpunkt verlassen und als Berater in einem Nebenraum zur Verfügung stehen. Erst im Rahmen der Präsentation der Ergebnisse kommen die Erwachsenen wieder dazu. Ihre Rolle ist nun die des kritischen Zuhörers und Fragestellers (z.B. Wurde bei der Draußenaktion Schlechtwetter bedacht?).
Zum Abschluss findet eine Reflexionsrunde statt.
3. Wir führen die Aktion durch und sind für Menschen da
Das Team unterstützt die Jugendlichen bei der Zubereitung der Speisen und bei der Logistik. Während der Frühstücksausgabe werden die Jugendlichen durch Mitglieder des DaSein-Teams begleitet.
4. Wir waren wirksam
In einer Reflektion berichten die Firmis von ihren Eindrücken und Erfahrungen. Sie werden motiviert, einen Brief an sich selbst zu schreiben, der eine Selbstverpflichtung beinhaltet. Im Idealfall sind die Firmis bereit, die Aktion im Laufe des Sommers erneut anzubieten.
Der transformative Ansatz
Über einen rein diakonischen / karitativen Ansatz oder einen erweiterten Ansatz der BNE (soziales) werden die Ziele einer transformativen Bildung verfolgt: 1) die kritische Reflexion gesellschaftlicher Grundannahmen und der darauf beruhenden Lebens- und Wirtschaftsweisen und 2) die Bedeutung des Politischen in Gesellschafts- und Bildungsprozessen. Es geht um eine grundlegende qualitative Veränderung von Selbst- und Weltverständnissen. Es geht um tiefgreifendes Verlernen zuvor unkritisch erlernter Denk-, Fühl- und Handlungsmuster.
Es ist etwas Besonderes für die Jugendlichen, freier und selbstständiger zu lernen, bei der Auswahl der Themen und Aktivitäten mitzuentscheiden und mit ihren Ideen ernst genommen zu werden. Bei den Jugendlichen wird durch das Projekt die Motivation gestärkt, sich weiter mit sozialen und damit Nachhaltigkeitsfragen zu beschäftigen. Dies verdeutlicht, dass sich alle an einer Lernwerkstatt Beteiligten, Jugend und Erwachsene, als Lernende verstehen können. Es sollen auch stärker Lernräume eröffnen, in denen Menschen in ihrer Rolle als Bürger*innen politische Mitgestaltung lernen und erproben können. Hierzu sind in der Folge die Teilnahme an Ratssitzungen angedacht.
Reflexionsfragen zu eigenen transformativen Lernprozessen
- Welche transformativen (Ver-)Lernprozesse habe ich selbst bereits in meinem Leben durchlebt?
- An welchen Stellen meines Lebens hat sich die Art und Weise, wie ich in die Welt und auf mich selbst blicke, tiefgreifend verändert?
- Was hat mich in dieser Zeit bewegt?
- Wer oder was hat diesen Lernprozess ausgelöst?
- Wie verlief dieser Lernprozess?
- Welche Rolle hat Reflexion dabei gespielt?
- Wie wichtig waren andere Menschen dafür und was genau haben sie gemacht?
Pädagogische Begleitung transformativer Lernprozesse
Transformatives Lernen findet häufig außerhalb geplanter Bildungsangebote statt – informell, angestoßen von besonderen Begegnungen und Ereignissen im Leben und in selbstorganisierten Gruppen. Nach einem sozial-konstruktivistischen Verständnis ist Lernen dann erfolgreich, wenn sich Lernende aktiv und eigeninitiativ auf den Weg machen, die eigene Entwicklung voranzubringen. Auch transformatives Lernen folgt den Prinzipien der Selbstorganisation. In diesem Sinne sind transformative Lernprozesse pädagogisch nicht kontrollier- oder steuerbar. Es gibt jedoch eine Vielzahl an didaktischen Ansätzen, die selbstorganisierte Lernprozesse sowie transformatives Lernen begleitend unterstützen und daher ermöglichen können.
Lernwerkstätten können dazu beitragen, denn aus der Theorie transformativen Lernens lassen sich durchaus Empfehlungen für Didaktik und Methodik für eine solche Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen ableiten.
[Textauszüge aus Handbuch transformatives Lernen durch Engagement, UBA 2021]