ZIVILER UNGEHORSAM VON GANDHI BIS GRETA

Gewaltfreien Aktionen gegen gravierende Missstände auch von Jesus


150 Jahre nach der Geburt Gandhis sind die Lehren des indischen Unabhängigkeitskämpfers wieder aktuell. Auch der Prediger Martin Luther King oder Great Thunberg rufen zu Streiks und andere Formen des Widerstands auf. Diese gehören zu freien Gesellschaften dazu.

  • Besetzung des Ruhrgebiets 1923 (Artikel zum Jahrestag)
  • Kampf für das Frauenwahlrecht, Großbritannien1928
  • Gandhi und der Salzmarsch, Indien 1930
  • Hans Scholl und Sophie Scholl, Weiße Rose, Deutschland 1943
  • Martin Luther King, Marsch auf Washington 1963 (Friedensnobelpreis)
  • Montagsdemonstationen, Deutschland 1989
  • Digitaler ziviler Ungehorsam: USA 2013, Edward Snowden
  • wilde Streiks für bessere Arbeitsverhältnisse oder mehr Lohn
    (z.B. Pierburg 1973, TUIfly 2016, Gorillas 2021)

«Es reicht nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.» (Dietrich Bonhoeffer 1933)

Doch wo sind die Grenzen? Ziviler Ungehorsam verursacht Störungen und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, während er gleichzeitig eine Debatte mit dem Ziel erzwingt, grundlegende und fortschrittliche Veränderungen innerhalb unserer Gesellschaften und unserer Welt herbeizuführen.

Ziviler Ungehorsam im Alten Testament

Zu den hebräischen Hebammen – die eine hieß Schifra, die andere Pua – sagte der König von Ägypten: 16 Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst ihn sterben! Ist es ein Mädchen, dann kann es am Leben bleiben. 17 Die Hebammen aber fürchteten Gott und taten nicht, was ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder am Leben. (2.Mose 1,15-17)

DIE NOTWENDIGE TEMPELREINIGUNG MIT GEWALT

Jesus – gewalttätig? Es ist die einzige Szene im Evangelium, in der man Jesus gewalttätig sieht. Er ist wie jedes Jahr als Pilger zum Osterfest nach Jerusalem hinaufgezogen. Er begibt sich in den Tempel. Da packt ihn der Zorn, als er all die Geschäftemacherei im Heiligtum sieht. Die Händler, die Geldwechsler, sie alle treibt er mit Geißelhieben aus dem Tempel hinaus. Tempelreinigung! „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“

War Jesus doch ein Revolutionär? War er doch nicht der sanfte, gütige Lehrer der Gewaltlosigkeit? An Gewalt hat es nicht gefehlt in der langen Geschichte des Christentums. Hat Jesus mit seiner Gewaltaktion im Tempel zu Jerusalem ein schlechtes Vorbild gegeben? Vorsicht! Schauen wir nüchtern auf das, was Jesus tatsächlich getan hat.

Und doch geht es um eine Revolution. Um eine Reinigung des Tempels, aber nicht mehr des prachtvollen Tempels in Jerusalem. Jesus hat vorhergesagt, dass von ihm „kein Stein auf dem anderen“ bleiben wird. Nein, Jesus „meinte den Tempel seines Leibes“. Die Revolution Jesu war die Ehrfurcht vor dem Leib, vor dem Menschen und seiner Würde. Der Tempel ist zu heilig, um zur Markthalle zu verkommen. Der Zorn Jesu gilt der Geschäftemacherei im Heiligtum. Deshalb bleibt die Tempelreinigung, die Jesus damals symbolisch vornahm, eine Mahnung für alle Zeiten. „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“ Aber noch mehr erinnert sie uns daran, dass jeder Mensch ein Tempel Gottes ist und nicht dem Geld und dem Geschäft unterworfen werden darf.

Den vollständigen Text zu den Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium aus JOHANNES 2, 13-25 finden Sie auf der Seite www.erzdioezese-wien.at (url-Link)

„Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um.“ (Joh. 2,14-15)

Neben der Tempelreinigung gibt es noch eine weitere Textstelle, die einen nicht friedlichen Jesus schildert:

„Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Mt. 10,34). Und im letzten Abschnitt fordert er einen radikalen Einsatz „Wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wir des finden“ (Mt. 10,39).

Ein widersprüchlicher, zwiespältiger Jesus. Der zivile Ungehorsam ist aber für den gesetzestreuen Jesus dort notwendig, wo Menschen unter dem Gesetzt leiden. Deshalb heilte er auch verbotenerweise am Sabbat und widersetzt sich den gesellschaftlichen Regeln.

Bewusste Grenzüberschreitung beim Sabbatgebot

«Die Angst der Herrschenden vor noch so harmlos wirkenden Protesten macht deutlich, wie notwendig es ist, die gegebenen Rahmenbedingungen infrage zu stellen, auch durch bewusste Grenzüberschreitung. Eine solche grenzüberschreitende Praxis lässt uns als Christ*innen Parallelen zum Handeln Jesu erkennen, etwa am Beispiel seines Umgangs mit dem Sabbatgebot (vgl. Mk 2,27). Papst Franziskus schlägt das folgende Verständnis dieses Textes vor: «An einem Sabbat hat Jesus, wie das Evangelium erzählt, zwei Dinge getan, durch die der Komplott, ihn umzubringen, beschleunigt wurde. Er ging mit seinen Jüngern durch ein Kornfeld. Die Jünger waren hungrig und assen von den Ähren. […] Angesichts des Hungers hat für Jesus die Würde der Kinder Gottes Priorität gegenüber einer formalistischen, angepassten und interessebedingten Interpretation der Normen. Als die Gesetzeslehrer sich in heuchlerischer Empörung beklagten, erinnerte Jesus sie daran, dass Gott Liebe will und nicht Opfer, und klärte sie darüber auf, dass der Sabbat für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat da ist. Er konfrontierte das heuchlerische, selbstgenügsame Denken mit der demütigen Intelligenz des Herzens, die dem Menschen immer den Vorrang einräumt und jene Logiken ablehnt, welche die Freiheit des Menschen zu leben, zu lieben und anderen zu dienen untergräbt.

Und etwas später am selben Tag beging Jesus eine noch „schlimmere“ Tat, welche die Heuchler und Arroganten noch stärker ärgerte. …»

«Jesus hat an diesem Sabbat sein Leben aufs Spiel gesetzt. Denn nach der Heilung der Hand folgten die Pharisäer und Herodianer (vgl. Mk 3,6) ihrem Kalkül und verbündeten sich, um Jesus umzubringen, obwohl sie zwei gegnerische Parteien waren, die das Volk und auch das Imperium fürchteten. Ich weiß, dass viele von euch ihr Leben aufs Spiel setzen. Ich weiß, dass einige heute nicht hier sind, eine besonders, weil sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. An sie will ich erinnern… Aber es gibt keine größere Liebe, als sein Leben hinzugeben. Das lehrt Jesus uns.»

Auszug aus der Ansprache von Papst Franziskus an die zum Dritten Welttreffen der Sozialen Bewegungen Versammelten, Aula Paul VI., Rom, 5. November 2016 (url-Link)

Appell der Letzten Generation auf der EKD-Synode

Die Klimaaktivistin Aimée van Baalen (Sprecherin, Letzte Generation) hat einen dringenden Appell an die 128 Synodalen gerichtet: „Es ist an der Zeit, Risiken einzugehen. Denn jetzt zu schweigen, ist das größte Risiko von allen.“ Sie hob hervor, dass die evangelische Kirche eine wichtige Partnerin für die Klimaaktivist*innen sei: „Appellieren Sie an die Politik. Helfen Sie uns, eine Verhandlungsposition zu erhalten. Unterstützen Sie uns.“ Sie sagt weiter: „Wir brauchen Sie, um nicht nur das Hoffen, sondern auch das Fordern der lebenswerten und gerechten Zukunft aufrecht zu erhalten. Vielen Dank, dass Sie sich solidarisieren.“ Und betonte die Dringlichkeit des Klimaprotestes: „Wir müssen uns jetzt trauen, etwas zu sagen. Sonst lassen wir Milliarden Menschen weltweit und die junge Generation im Stich.“ 

Am Ende gab es „Stehenden Applaus“ für die junge Klimaaktivistin. Im Laufe der weiteren Debatte wurden zahlreiche Sympathiebekundungen ausgesprochen.

Zum Beitragt auf www.ekd.de „Evangelische Kirche sucht Gespräch mit „Letzter Generation
mit mit Text und Videomitschnitt; den Impuls zum Nachlesen als pdf Download

Bischof Bätzing, Vors.DBK

DBK-Vorsitzender Bätzing vergleicht in Predigt „Letzte Generation“ mit Urchristen

Die Schriftlesungen dieser Tage sind von einem bestimmten Bewusstsein der frühen Christinnen und Christen geprägt. Was sie persönlich noch mit diesem Jesus erlebt haben oder was ihnen durch andere erzählt wurde, das hat alles verändert. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe” (Mk 1,15) in ihm. Und sie empfinden ihre eigene Situation und auch die bedrängenden Erfahrungen einer Minderheit am Rand der römischen Gesellschaft als eine Zeit, die insgesamt zu Ende geht. Sich selbst empfinden sie als kleine Gruppe mit einem großen Auftrag für die „letzte Generation“.

Wir dürfen uns das ruhig sehr konkret vorstellen. Das Lebensgefühl der Christinnen und Christen, für die die Offenbarung des Johannes oder das Lukasevangelium geschrieben worden sind, ähnelt dem der Bewegung heute, die uns irritiert und manches Kopfzerbrechen bereitet. Die überwiegend jungen Leute verstehen sich angesichts drohender Kipppunkte als „letzte Generation“, die noch in der Lage ist, einen Klimakollaps aufzuhalten. Das erklärte Ziel dieses Bündnisses von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung lautet: Mit Mitteln zivilen Ungehorsams wollen sie Maßnahmen der Regierung gegen die Klimakrise erzwingen. Es dulde keinen Aufschub mehr. Man kann zu diesen Leuten und ihren Aktionen stehen, wie man will, aber irgendwie wurden sie aus der Lethargie geweckt, die noch viel zu viele von uns entspannt in die Zukunft blicken lässt.

Den gesamten Predigttext lesen auf bistumlimburg.de (pdf, url-Link)

Das Lebensgefühl dieser Aktivisten ähnele dem der frühen Christen in der Urkirche, die sich als „letzte Generation“ vor dem Anbruch des Reiches Gottes verstanden hätten: Bischof Bätzing sieht dennoch Unterschiede. Weiterlesen auf katholisch.de (url-Link)

Klimaaktivisten nicht als Sektierer diffamieren

DEBATTE ÜBER „LETZTE GENERATION“, Beitrag auf www.evangelisch.de

Der Sekten-Vergleich über die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ stößt auf Kritik. Ein Religionspsychologe der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hatte die Klimaschützer als von Angst gesteuert und wissenschaftsgläubig in Zeitungsinterviews bezeichnet. In die Debatte schalteten sich nun auch EKD-Synodale und Theolog:innen ein, darunter die Direktorin der Evangelischen Akademie in Berlin.

Weiterlesen auf www.evangelisch.de (url-Link)

Versachlichung der Debatte nötig

Es braucht laut Oliver Foltin, dem stellvertretende Leiter der evangelischen Forschungsstätte FEST, jetzt aber vor allem eine Versachlichung und Entemotionalisierung der Debatten. Damit das eigentliche Anliegen zu deutlich mehr und intensiveren Klimaschutz wieder in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt werde und nicht die Methoden des Protests.

© foodsharing e.V., Raphael Fellmer

Containern oder Mülltauchen

Bis die Polizei kommt: Pater aus Nürnberg rettet Lebensmittel. Bayerischer Rundfunk, Dieb oder Retter? Ein Pater aus Nürnberg stiehlt abgelaufene Lebensmittel und verteilt sie gratis. Nürnberger Nachrichten, Unerlaubte Lebensmittelrettung: Pater riskiert Anzeige. Münchner Merkur, Lebensmitteldiebstahl aus guten Gründen: Jesuitenpater setzt Zeichen gegen Verschwendung. Evangelisches Sonntagsblatt, Jesuitenpater rettetn Lebensmittel. ARD Mediathek u.v.m.  

Staatsanwaltschaft Nürnberg stellt Verfahren gegen Pater Jörg Alt ein (Nürnberger Nachrichten), Containern: Ermittlungen gegen Pater Alt eingestellt (Bayerischer Rundfunk), „Container“-Ermittlungen beendet (taz), Keine Anklage gegen Nürnberger Jesuiten wegen Containerns – Ordensmann will sich damit nicht abfinden (katholisch.de), „Mangels Tatnachweis“: Verfahren gegen „Container-Pater“ eingestellt (epd) uvm

Papst Franziskus meint zu alledem: „Wir müssen der Wegwerfmentalität ein Ende setzen, wir, die wir den Herrn um das tägliche Brot bitten. Die Verschwendung der Lebensmittel ist mit schuld am Hunger und am Klimawandel.“

Weitere Hinweise auf www.joergalt.de (url-Link)

Klimaprotest: Jesuitenpater Alt klebt sich am Stachus fest

Bei einer Protestaktion von Klimaaktivisten von Scientist Rebellion hat am 28. Oktober 2022 auch der Jesuiten Pater Dr. Jörg Alt am Stachus in München die Hand auf der Straße festgeklebt. Parallel zum CSU-Parteitag in Augsburg kam es im Rahmen einer Aktionsserie  in München vor dem Justizministerium zu einem Protest gegen das fossilen „Weiter-So“, zu dem 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgerufen hatten.
Bericht im www.stadtmagazin-muenchen24.de (url-Link)

28.10.22 Statement von Jörg Alt bei der Blockade in München am Karlsplatz finden Sie im Text unter dem YouTube Video (url-Link)

Jörg Alt SJ: „In der Klimakatastrophe hat die Kirche die Pflicht, die Regierung an ihre moralische Verantwortung den Menschen gegenüber zu erinnern.“
Zuletzt hatte sein öffentliches Retten weggeworfener Lebensmittel aus der Supermarkttonne zu Diskussionen rund um zivilen Ungehorsam geführt – während sich klimabedingte Hungersnöte weiter ausbreiten und unsere Lebensmittelpreise steigen.

Kampf fürs Klima – Geht der Protest zu weit?

Die Klimaschutzaktivisten der Letzten Generation wollen provozieren: Sie beschmieren Gemälde, kleben sich auf Straßen fest. Doch nach dem Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin sehen viele Politiker in ihnen vor allem Straftäter und fordern hartes Durchgreifen.

Wie sind die Fakten? Wer hat die 2 von 3 Fahrspuren blockiert? Hat die Straßenblockade die Versorgung des Unfallopfers sowie den Rettungseinsatz der Feuerwehr wirklich verzögert, und sind die Klimaaktivisten mitverantwortlich am Tod der Radfahrerin? Die Letzte Generation setzt ihren Protest dennoch fort.

Beitrag von Frontal 21 im ZDF vom 08.11.22 (url-Link)

300 TAGE HAFT – MUTTER SOLL WEGEN FORMFEHLER INS GEFÄNGNIS

Als Sonja Manderbach am Dienstag auf dem Amtsgericht Tiergarten erschien, war sie auf eine Hauptverhandlung vorbereitet. Die Kirchenmusikerin und Mutter einer 15-jährigen Tochter hat sich an mehreren Protesten und Blockaden beteiligt, bei denen der Verkehr zum Erliegen kam. Der Vorwurf der Nötigung steht im Raum – ein Delikt, das laut Gewerkschaft der Polizei je nach Situation auch als Bagatelldelikt bewertet werden kann

Aus dem Nichts verkündet die vorsitzende Richterin dann: Sonjas Einspruch wird wegen eines Formfehlers verworfen. Die Unterschrift auf dem Einspruch sei nicht korrekt erfolgt. Die digitalen Unterschriften würden nicht ganz den Vorschriften entsprechen – es sei doch besser, den klassischen Postweg zu wählen. Die Richterin entschuldigt sich, dass sie es beim letzten Mal „verpennt hätte”. 

Aufgrund dieses Formfehlers sind nun die sechs Strafbefehle rechtsgültig. In Konsequenz hat Sonja  300 Tagessätze zu je 40 Euro zu zahlen – 12.000 Euro oder 300 Tage Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis. 

Sonja Manderbach bleibt vor Gericht eindeutig: „Ich werde keine Strafe bezahlen. Entweder sie sprechen mich frei oder ich gehe ins Gefängnis. Der Gegenwind der Gerichte stärkt mich nur. Es wird von der Gesellschaft nicht unbemerkt bleiben, dass ich und andere der Letzten Generation unverhältnismäßig hart bestraft werden, weil wir unsere Mitmenschen vor den tödlichen Folgen der ungebremsten Klimakatastrophe retten wollen.”

Weiterlesen auf letztegeneration.de (url-Lin

Podcast – Letzte Generation, RAF und Klimaterrorismus

Sarah Bosetti klärt ein für allemal die Frage: Wie viele Menschen darf man für den Klimaschutz sterben lassen? 8 Millionen Menschen wie jedes Jahr durch die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe? Oder doch lieber keinen einzigen?

Videolänge:10 min Datum:09.11.2022 (url-Link)

Klima, Kleber, Kunst – Was bleibt haften vom Protest?

Mit Kleber und Kartoffelbrei für das Klima kämpfen, das hat sich die Aktionsgruppe „Letzte Generation“ auf die Fahnen geschrieben. Sie erregen Aufmerksamkeit mit Kunst-Attacken, Straßenblockaden und friedlichem Protest. Nachdem ein Rettungsfahrzeug auf dem Weg zu einer Unfallstelle durch eine solche Blockade behindert wurde, wird die Diskussion heftiger. Schaden die Aktivisten und Aktivistinnen damit nicht selbst ihrem Anliegen? Erste Prozesse laufen, erste Urteile sind gefallen. Kann man noch von friedlichem Protest sprechen, wenn potentiell Menschen gefährdet werden oder Kunst beschädigt wird? Wir sprechen mit Zoe Ruge von „Letzte Generation“, Katharina van Bronswijk von Psychologists und Psychotherapists for Future und mit der Protestforscherin Lena Herbers.

Autor: hr-iNFO, Veröffentlicht am 10.11.22 um 18:00 Uhr (url-Link)

Ziviler Ungehorsam aus politikwissenschaftlicher und juristischer Sicht

Bürgerlicher Ungehorsam ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern ein Werkzeug, dessen Wurzeln bis in die Antike reichen.

Mit der Form des bewussten Verstoßes gegen rechtliche Normen und einzelne Gesetze setzt der Bürger einen Akt, der auf die Beseitigung eines wahrgenommenen Unrechts abzielt. Es ist das empfundene moralische Recht auf politische Teilhabe und Gerechtigkeit. Das Widerstandsrecht ist ein Mittel, das sich in gewaltfreier Form, in einem symbolischen Verstoß gegen geltende staatliche Gesetze und Verordnungen äußert und damit auf die öffentliche Meinungsbildung abzielt.

Das Ziel zivilen Ungehorsams ist die Durchsetzung von Rechten der Bürger in der bestehenden Ordnung und zielt nicht auf die Ablösung aktueller politischer Machtsysteme, wie im §20 Abs. 4 GG, definiert und beschrieben. Hinsichtlich der Methoden und Aktionsformen bestehen mit Sicherheit Überschneidungen.

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen strafgerichtliche Verurteilung wegen Nötigung durch Sitzblockade auf einer befahrenen Straße

Pressemitteilung Nr. 25/2011 vom 30. März 2011
Beschluss vom 07. März 2011, 1 BvR 388/05

Am 15. März 2004 ließ sich der Beschwerdeführer zusammen mit circa 40 anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention der USA im Irak auf der zu dem Luftwaffenstützpunkt der US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main führenden Ellis Road nieder. Daraufhin wurde er vom Amtsgericht wegen Nötigung nach § 240 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt.

Das Landgericht verwarf die hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers. Die Demonstranten hätten den Tatbestand der Nötigung erfüllt, indem sie mit der Sitzblockade gegenüber denjenigen Fahrzeugführern Gewalt ausgeübt hätten, die durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Außerdem hätten sie rechtswidrig gehandelt. Die von ihnen ausgeübte Gewalt sei Mittel zum Zweck der Erregung von Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke gewesen. Zwangseinwirkungen, die allein darauf abzielten, durch gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, seien durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Zudem sei die Beeinträchtigung fremder Freiheit ein völlig ungeeignetes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes gewesen. Schließlich beseitigten gesellschaftspolitische Motive nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in Rechte Dritter, sondern seien in der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Mit der gegen die Entscheidung des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffene Entscheidung aufgehoben, weil sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Einen Verstoß gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Analogieverbot durch die umstrittene „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs konnte die Kammer dagegen nicht erkennen.

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Sitzblockade

Die Sitzblockade ist eine Form des friedlichen politischen Protests. Grundsätzlich wird sie durch das Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 des Grundgesetzes) geschützt. Sitzblockaden spielen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremistischem Gedankengut eine wichtige Rolle.

Eine Sitzblockade wird in der Regel als so genannte Spontanversammlung abgehalten. Das bedeutet, sie entsteht kurzfristig, ohne vorherige Organisation. Anders als andere Versammlungen müssen (und können) Spontanversammlungen nicht 48 Stunden vorher angemeldet werden.

Unklar war lange, ob eine Sitzblockade als Gewalt anzusehen und somit strafbar ist. 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht (07.03.2011 – 1 BvR 388/05), dass eine Sitzblockade nicht zwangsläufig als Gewalt anzusehen ist. Wenn eine solche Blockade politisch motiviert und friedlich ist, wird sie durch das Grundgesetz gedeckt.

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